Podiumsgespräch mit Jenifer Becker und Martin Schüle
Aula ZHAW, Seestrasse 55, Wädenswil
Kaum eine andere technische Innovation beschäftigt die Gemüter zurzeit mehr als die Künstliche Intelligenz. Darum war es nicht erstaunlich, dass am 18. April mehr als fünfzig Interessierte jeden Alters der Einladung der Lesegesellschaft Wädenswil und der ZHAW folgten, die ein Podiumsgespräch über «Kunst und Handwerk mit KI – Literarisches Schreiben mit ChatGPT» organisiert hatten. Die Rollen waren klar verteilt: Moderator René Peter gab den KI-unkundigen, aber philosophisch gebildeten Fragesteller, Martin Schüle, Dozent für Life Sciences und Facility Management an der ZHAW, und Jenifer Becker, Dozentin am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft der Universität Hildesheim, waren die beiden Fachpersonen.
Gleich zu Beginn stellte Martin Schüle klar, dass KI ihre Texte in erster Linie aufgrund von Wahrscheinlichkeit generiere. ChatGPT habe eine gigantische Menge an Texten gespeichert, daraus leite es ab, welche Wortabfolge am wahrscheinlichsten sei. So entstünden die Texte, die das Programm auf entsprechende Anfragen, sogenannte Prompts, generiere. Als Forscher sei ihm das Programm eine grosse Hilfe bei der Datenverarbeitung; das deep learning mache die Künstliche Intelligenz aber auch mehr und mehr zu einem wissenden Instrument. KI könne heute nicht nur besser Schach spielen als jeder Mensch, sondern auch Gedichte im Stil der Sonette von Shakespeare schreiben. Was Intelligenz und Wissen heisse, müsse laufend neu definiert werden. ChatGPT bleibe aber ein körperloses Wesen, dem jede Form von sinnlicher Anschauung und menschlicher Erfahrung fehle. Jedes Kind lerne mit viel weniger Daten viel schneller.
Jenifer Becker, die auch Romane schreibt, erzählte anschaulich, wie ChatGPT ihren literarischen Schreibprozess verändert hat. Hilfreich sei das Programm für sie vor allem in der Konzeptphase, in der Figuren und Plots entworfen würden. Je genauer gepromptet werde, desto brauchbarer seien die Ergebnisse. Wenn man der KI Vorgaben mache, die einem Groschenroman entsprächen, schreibe ChatGPT problemlos, während man frühstücke, einen billigen Roman. Ihr selbst helfe das Programm insofern, als es ihr oft auch aufzeige, was sie nicht wolle. Zudem helfe KI, Schreibblockaden zu überwinden. In der Phase des eigentlichen Schreibens spiele die künstliche Intelligenz keine Rolle, da sei allein ihre Sprachkraft und Kreativität gefragt, ebenso in der Phase der Überarbeitung. Humor, Ironie und Mehrdeutigkeit könne ChatGPT noch kaum generieren, zudem seien die meisten Dialoge der Künstlichen Intelligenz noch sehr hölzern und nicht brauchbar für einen literarischen Text. Diese pragmatische Haltung von Jenifer Becker stiess bei vielen Anwesenden auf Zustimmung und sorgte für eine spürbare Erleichterung.
Als Martin Schüle zum Schluss darauf hinwies, dass auch ChatGPT kreativ sei, weil es über sogenannte emergente Fähigkeiten verfüge, also über Eigenschaften, die man dem Programm gar nie beigebracht habe, wurde es wieder stiller im Saal.
Das anregende und lehrreiche Podiumsgespräch konnte manches Missverständnis aus dem Weg räumen, es machte aber auch klar, dass im Bereich der künstlichen Intelligenz eine sehr dynamische Entwicklung im Gange ist, die uns alle auch in Zukunft beschäftigen wird.
Jenifer Becker, Autorin und Kulturwissenschaftlerin und lebt in Berlin. Sie hat Kreatives Schreiben am Literaturinstitut Hildesheim studiert, wo sie seit 2015 lehrt und forscht. 2023 ist ihr Debutroman «Zeiten der Langeweile» erschienen (Hanser, Berlin).
Martin Schüle, Dozent und Forscher im Bereich KI an der ZHAW in Wädenswil. Er hat Physik studiert und mit einer Arbeit zu Informatik und Philosophie promoviert. Er befasst sich mit der Anwendung und dem Verständnis von large language models wie ChatGPT.
Die Veranstaltung wurde durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem Forum der ZHAW, Wädenswil.
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